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Dezember 2014: Stein-Hardenberg 2.0: Zentrale Staatsprinzipien mit E-Government neu denken
Das Potsdamer Institute for eGovernment (www.ifg.cc) beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Zukunft der Verwaltung unter dem Titel “Stein-Hardenberg 2.0”. Die preußischen Reformer von einst hatten vor mehr als 200 Jahren den Grundstein für eine moderne Verwaltung gelegt. Zu nennen ist insbesondere die kommunale Selbstverwaltung und das Ressortprinzip. Beide Ausprägungen der Staatsorganisation galten damals als Innovation und sind bis heute Grundfeste deutscher Verwaltung. Hinzufügen kann man noch den Verwaltungsföderalismus als Staatsorganisationsprinzip, wenngleich dieser nicht auf Stein und Hardenberg zurückzuführen ist.

Was hat das alles nun mit E-Government zu tun? Die etwas provokante Frage ist, wie würden Stein und Hardenberg die Verwaltung heute organisieren, angesichts der Potenziale von IT, die es vor 200 Jahren noch nicht gab? Diese Frage ist in der pointierten Form deshalb gerechtfertigt, weil IT möglicherweise ganz andere Formen der Organisation für die Verwaltung erlaubt, die bisher noch wenig systematisch ausgearbeitet sind. Insbesondere sind Vernetzungspotenziale von IT zu nennen. Dabei ist keinesfalls nur die technische Vernetzung gemeint, sondern neue Organisationsnetzwerke, die jedoch durch IT erst ermöglicht werden. Diese Netzwerke bilden sich heute schon an ganz vielen Stellen für die öffentliche Leistungserbringung als sogenannte Produktions- oder Leistungsnetzwerke heraus. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Einheitliche Behördenrufnummer 115, Shared Service Center beim Bundesverwaltungsamt oder der Einheitliche Ansprechpartner, der im Rahmen der EU-Dienstleistungsrichtlinie etabliert wurde, sind Entwicklungen, die einen deutlichen Trend in Richtung Vernetzung aufzeigen.

E-Government-Netzwerke

Auf Basis dieser empirischen Entwicklung wurden im Forschungsprojekt verschiedene Netzwerktypen, die für die Verbesserung der öffentlichen Leistungserbringung besonders geeignet sind, herausgearbeitet. Dazu zählen auch sogenannte Infrastrukturnetzwerke, wonach nicht nur IT-Dienste, sondern auch Daten, Prozessmodelle, Standards etc. gemeinsam über Verwaltungsebenen und -organisationen genutzt werden. Diese Grundtypen von EGovernment-Netzwerken wurden erstmals klar definiert und so das allgemeine Konzept der “vernetzten Verwaltung” präzisiert. Im Projekt wurde herausgearbeitet, ob und inwieweit diese Netzwerktypen mit den staatsorganisatorischen Prinzipien kompatibel sind.

Als wesentliche Ergebnisse hat sich Folgendes gezeigt: Die zentralen Prinzipien der deutschen Staatsorganisation sind vor dem Hintergrund der Möglichkeiten mit E-Government neu auszudeuten. Bisher wurden kooperativer Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung und ministerielle Ressorthoheit von einem groben Aufgabenverständnis geprägt, das keine weitere Differenzierung zulässt. Mit Stein-Hardenberg 2.0 wird vielmehr der Ansatz verfolgt, Aufgabenteile nach ihren Legitimationsbedarf, d. h. hauptsächlich nach ihrem Entscheidungsgehalt, zu analysieren, was durch eine konsequente Sicht entlang von Geschäftsprozessen erreicht wird. Konkret werden nunmehr einzelne Prozessschritte danach beurteilt, welches Niveau an Legitimation für sie erforderlich ist. So lassen sich ohne Probleme die Prozessmodule neu verteilen, die keinen Entscheidungsgehalt aufweisen, während die entscheidungshaltigen Module bei der zuständigen Stelle verbleiben, sodass die Legitimation des Handelns gewahrt bleibt. Das bedeutet eine größere Vernetzungsfreiheit bei solchen Prozessmodulen, die weder Entscheidungsgehalt noch in irgendeiner Form einen territorialen Verantwortungsbezug aufweisen. Das erfordert eine aktive Gestaltung von Systemen und Prozessen, d. h. Gestaltungsarbeit nichttechnischer Art, damit Verantwortung und Steuerung gesichert ist. Hierfür wurden ebenfalls Vorschläge im Projekt erarbeitet.

Keine Mischverwaltung

Im Ergebnis zeigen die Forschungsergebnisse, dass eine Vereinbarkeit von Vernetzung und Verfassungsgrundsätzen möglich ist, wenn eine aktive Gestaltung stattfindet: Die durch die staatsorganisatorischen Prinzipien gesicherte Organisationshoheit und Hierarchie kann auf Module mit hohem Legitimationsbedarf begrenzt werden. Für Prozessmodule mit geringen Legitimationsanforderungen kann die Effizienz- und Effektivitätslogik dominieren.

Wie sich der kooperative Föderalismus weiterentwickelt, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen. Jedoch ergeben unsere Untersuchungen, dass die föderale Arbeitsteilung feingliedriger werden kann, wenn sie stärker auf einer an Modulen orientierten Vernetzung beruht. Hierdurch entsteht ein intensiver “vernetzter Föderalismus” auf Produktionsebene, ohne dass bisherige Zuständigkeiten aufgegeben werden müssen. Die oft geäußerten Bedenken, es handle sich um eine unzulässige “Mischverwaltung”, gehen ins Leere, denn alle entscheidungserheblichen Prozessmodule verbleiben bei der für den Gesamtprozess zuständigen Stelle.

Kommunale Selbstverantwortung

Auch das Problem der vollzugsfernen Gesetzgebung auf Bundesebene wurde im Projekt adressiert. Alle Netzwerkpotenziale können nur realisiert werden, wenn Gesetze vollzugssensitiv formuliert werden, sodass sie schlank umsetzbar sind. Mit anderen Worten, der Netzwerkgedanke muss bei der Gesetzgebung schon mitgedacht werden.

Im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung ist mit zunehmender Vernetzung ein Trend in Richtung “Selbstverantwortung” erkennbar, sodass sich das Verständnis von Selbstverwaltung von ausschließlicher Eigenproduktion von Verwaltungsleistungen weg entwickeln kann. Vielmehr können Kommunen dazu übergehen, gewisse Prozessteile auszulagern bzw. einzukaufen oder für bestimmte Leistungen “lediglich” die Distribution zu übernehmen. Mit dieser Sicht wird es auch möglich, die Aufgabenwahrnehmung von Mindestgebietsgrößen für eine effiziente Leistungserbringung zu entkoppeln. Selbstverwaltung ist damit eher als Selbstverantwortung zu interpretieren und Organisationshoheit ist nicht mehr mit “Produktionshoheit” gleichzusetzen.

Ähnliches gilt für die Ressorthoheit, die auf die eigentlich fachlichen Ressortaufgaben beschränkt ist, womit Ressortverantwortung als Fachverantwortung zu verstehen ist. Aufgaben bzw. Prozessmodule ohne Ressortspezifik und ohne hohe Legitimationsrelevanz lassen sich in effizienteren vernetzten Arrangements ausführen.

Deutlich wird, dass es mit EGovernment möglich ist, die drei Prinzipien auf ihren Wesenskern und damit auf ihre eigentlichen Zwecke zurückzuführen. Die staatsorganisatorischen Prinzipien sind also nicht abzuschaffen, sondern vor dem Hintergrund der Vernetzungsmöglichkeiten neu auszudeuten.

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Das Forschungsprojekt “Stein-Hardenberg 2.0” wurde von Juni 2011 bis März 2014 am IfG.CC durchgeführt. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes sind in dem Ergebnisband “Stein-Hardenberg 2.0 – Architektur einer vernetzten Verwaltung mit E-Government” beim edition sigma Verlag in der Reihe “E-Government und die Erneuerung des öffentlichen Sektors” erschienen.

Das Buch kann unter folgendem Link bestellt werden: www.edition-sigma.de/detailshow.php?ISBN=978-3-89404-845-7

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Autor(en)/Author(s): Tino Schuppan u.a.

Quelle/Source: Behörden Spiegel, Dezember 2014, S. 30

                                                                                                                                                                                                                

                                                                                                                                                                                                                

 

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